Renaturierung an der Wolfach im Ortsbereich von Ortenburg-Neustift
Fließgewässer stellen mit ihrem weit verzweigten Netz ein unverzichtbares Element in unserer Landschaft dar und sind wichtiger Bestandteil natürlicher Lebensräume. Die Wolfach bietet für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aktuell jedoch keinen ausreichenden Lebensraum. Daher will das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf den guten ökologischen Zustand dort wiederherstellen, indem die Wolfach so weit wie möglich ihrem natürlichen Leitbild angenähert wird. Ein Baustein hierfür ist eine Maßnahme am Ortseingang von Neustift bei Blindham in der Gemeinde Ortenburg. Dort besteht auf staatseigenem Grund Entwicklungspotenzial für die Wolfach, weshalb sie dort auf ca. 200 m in ein neues, mäandrierendes Gewässerbett gelenkt und die Ufer abgeflacht werden sollen. Darüber hinaus wird das Gewässerbett mit zahlreichen Strukturelementen wie Totholz und Wurzelstöcken angereichert, um den Gewässerbewohnern ausreichend Schutz und Einstandsmöglichkeiten zu bieten. Flach überströmte Kiesbereiche sollen zu neuen Kinderstuben für die Fische werden, die in den Flachwasserbereichen des Gleitufers oder des geplanten Altwassers geschützt aufwachsen können. Ein weiteres wichtiges Element der Maßnahme, gerade in Zeiten des Klimawandels, ist die Beschattung des Gewässers durch eine gewässertypische Bepflanzung. Ziel der Maßnahme ist es, möglichst naturnahe, eigendynamische und sich selbst erhaltende Strukturen zu schaffen, die dem Gleichgewichtszustand des Gewässers entsprechen. Dies fördert in einem weiteren Schritt auch die biologische Vielfalt der Wolfach.
Hier werden Sie über den aktuellen Baufortschritt auf dem Laufenden gehalten.
Alles beginnt mit einem Haufen Erde
Am 17.09.2025 war es endlich soweit: Unter der Aufsicht der Flussmeisterstelle Passau rollen nun die Bagger an und damit konnte die Renaturierung der Wolfach am Ortseingang von Neustift (Gemeinde Ortenburg, Landkreis Passau) beginnen. Zunächst wird der Humus von der gesamten Fläche flächig abgezogen. Der Teil des Humus‘, der nicht zur Wiederandeckung der Fläche später benötigt wird, wird zur Bodenverbesserung auf landwirtschaftliche Flächen aufgebracht. Die Baustraße wurde im Vorfeld bereits im Sommer diesen Jahres errichtet, das Gelände ist abgesteckt, es ist also alles vorbereitet. Vorerst muss der Bagger noch relativ einsam seine Kreise ziehen, bekommt aber bald Verstärkung…
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Die Gelbjacken kommen...
Pünktlich zum 01.10. bekommt der erste Bagger, wie schon im letzten Beitrag angedeutet, Verstärkung. Das Abziehen des Oberbodens ist nun abgeschlossen, sodass es an den Tiefenaushub gehen kann. Aber der Bagger ist nicht das einzig gelbe, was den Weg auf die Baustelle findet. Im Rahmen einer Exkursion wurden interessierte Mitarbeiter des Wasserwirtschaftsamtes eingeladen, sich u.a. diese Baustelle anzusehen. Die erste Schleife am unteren Ende der Maßnahme wurde just in dem Moment modelliert, sodass es auch schon etwas zu sehen gab. So wird sich sukzessive von unten nach oben hoch gegraben. Und wie es sich auf einer richtigen Baustelle gehört, wurde 15 Minuten vor der Ankunft der Wasserwirtschaftstruppe eine kleine Überraschung ausgegraben…
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Es wird abgefahren und geht hoch hinaus
Seit dem 07.10.25 wird nicht nur gebaggert, sondern auch der Aushub abgefahren. Auch wenn es wetterbedingt diese Woche „gatzig“ wurde, unsere Bagger ziehen weiter unbeirrt ihre Bahnen. Da sind sie aber nicht die Einzigen. Am Mittwoch kreiste ein nicht ganz unbekanntes Flugobjekt über der Baustelle. Hoch hinaus ging es aber nicht für Aliens, sondern für eine Drohne, die den Baufortschritt dokumentieren sollte. Auch auf der anderen Seite der Brücke war am Donnerstag ordentlich was los, als der Schuppen direkt neben der Wolfach abgerissen wurde. Zeitgleich waren die zuständigen Biologen vom WWA Deggendorf in der Wolfach unterwegs, um sie nach Muscheln und Krebsen abzusuchen. Nächste Woche dürfen die Gewässerbewohner nämlich schon einmal einen Teil ihres neuen Domizils begutachten…
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Vorbereitung ist alles
Bevor es aber soweit ist und die Bewohner einziehen können, findet nach dem Rohbau erstmal der Innenausbau statt, der allerdings im Wasserbau einige Herausforderungen bereithält, weil man es mit dem Medium Wasser zu tun hat, das seinen ganz eigenen Kopf hat. Die Strukturen werden deshalb mit der Erfahrung unserer Wasserbauer von der Flussmeisterstelle Passau soweit angelegt, dass die Wolfach sich eigendynamisch den Rest so einrichten kann, wie sie es braucht und will. Das schafft natürlich gewisse Unwägbarkeiten, was in Kombination mit etlichen Zwangspunkten wie Grundstückseigentum, Einleitungen oder Hochwasserabfluss dazu führt, dass man der Eigendynamik mittels Ufer- und Sohlsicherungen Grenzen setzen muss. Deshalb werden beispielsweise in den Schleifen sog. „schlafende Sicherungen“ aus Wasserbausteinen, Schrotten und Kies eingebaut, die hinter der Uferlinie verborgen liegen und erst dann zum Zuge kommen, wenn sich das Gewässer zu weit in die Ufer gräbt. Zudem werden insgesamt fünf Sohlriegel ca. 10-20 cm in die Sohle eingegraben, um eine etwaige Eintiefungstendenz v.a. bei Hochwasser an einem gewissen Punkt einzubremsen. Wo immer es geht, wird mit ingenieurbiologischer Sicherung gearbeitet, z.B. in Form von Wurzelstöcken zur Ufersicherung oder Strömungslenkung. Nach dem Innenausbau kommt dann die Einrichtung in Form von Strukturen wie Störsteinen, Totholz und Wurzelstöcken, um geeignete Habitate für die Gewässerbewohner zu schaffen. Wie beim Menschen auch wird dies aber erst nach dem Einzug der Bewohner in Angriff genommen, weil die Wirkung solcher Strukturen am besten im fließenden Wasser zu beurteilen und zu platzieren sind. Schließlich muss man ja erst sehen, wie sich die Möbel in der neuen Behausung machen. Sobald also der Innenausbau abgeschlossen ist, kann es also losgehen…
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Sesam öffne Dich
Am Montag (13.10.25) war es endlich soweit: die unterste Schleife wurde geöffnet. Sie wurde soweit wie möglich im Trockenen modelliert und zunächst von unten her geöffnet, um die Feinsedimentbelastung so gering wie möglich zu halten. Im Anschluss daran wurde die obere Öffnung frei gebaggert und die Wolfach konnte erstmalig in ihr neues Gewässerbett gelenkt werden. Da die Alt-Wolfach in diesem Bereich verfüllt wird, wird ihre Sohle in den neuen Lauf als Substrat eingebracht, was vielerlei Vorteile hat. Erstens muss kein Material zugekauft und transportiert werden. Zweitens ist dies ein Garant für eine möglichst naturnahe Beschaffenheit der Gewässersohle, was die Qualität und die Korngrößenverteilung anbelangt. Last but not least ist das Substrat der Wolfach bereits mit Gewässerorganismen besiedelt, sodass der neue Lauf angeimpft wird, was für die Wiederbesiedelung von Vorteil ist. Im Anschluss an die Öffnung wird die Ufersicherung für den neuen Lauf aus Wasserbausteinen, Kies und Wurzelstöcken gesetzt, sodass alles für die Verfüllung des alten Gewässerlaufs vorbereitet ist…
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Und der zweite Streich folt sogleich...
Nachdem sich die Gewässerbewohner in einem Zimmer ihres neuen Zuhauses etwas eingelebt haben, war es dann nach etwas mehr als zwei Wochen wieder soweit: mit der zweiten Schleife wird ein neues Türchen geöffnet, auch wenn die Adventszeit noch nicht angebrochen ist. Im Anschluss wird noch die Flutmulde modelliert, die parallel zum neuen Lauf der Wolfach im ehemaligen Gewässerbett der Wolfach läuft, genauso wie das Altwasser. Da die Wolfach aufgrund ihrer Hydrologie sowie des ausgebauten Zustands verhältnismäßig schnell anlaufende und hohe Sprünge in den Wasserspiegeln bei Hochwasser aufweist, bringt die Flutmulde direkt oberhalb des Altwassers, neben der Wasserhaltung in der Fläche durch den Geländeabtrag, zusätzliche Entlastung. Auch an diesem Beispiel zeigt sich: die Begradigung und Befestigung der Gewässer in der Vergangenheit wirkt sich, anders als ursprünglich gedacht, nicht positiv auf den Hochwasserabfluss aus, sondern führt eher dazu, dass das Wasser zwar schneller wieder abfließt, dafür aber auch der Wasserspiegel bei derselben Wassermenge höher ansteigt als bei einem natürlichen Gewässer, das viel mehr Speichermöglichkeiten in der Fläche besitzt. Darüber hinaus bringt der Ausbau der Gewässer zahlreiche andere Probleme wie beispielsweise die Eintiefung sowie die Verarmung der Fauna mit sich. Somit ist diese Maßnahme nicht nur gut für die Natur und die Gewässerbewohner, sondern auch ein Beitrag zum Hochwasserschutz.
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Hoher Besuch und erste Feuertaufe
Wie es sich für eine richtige Eröffnung gehört, hatte auch die Wolfach pünktlich zum Durchstich der dritten und letzten Schleife hohen Besuch: die Fachberatung für Fischerei war zu Gast, um die Baustelle zu begutachten und Tipps zu geben, wie die neue Wolfach für die Fische optimiert werden kann. Es wurde zwar kein rotes Band durchschnitten, wie es sonst zu solchen Anlässen üblich ist, aber dafür der Erdwall durchstochen, der die Wolfach noch von ihrem neuen Bett getrennt hatte. Alles in Allem zeigte sich die Fachberatung sehr zufrieden mit der Maßnahme, einige kleinere Änderungen werden aber noch vorgenommen. Beispielsweise wird, anstatt die Alt-Wolfach parallel zur dritten Schleife komplett als Flutmulde auszubilden, dasselbe Modell verfolgt wie weiter unten: Flutmulde in Kombination mit einem Altwasser, um den Jungfischen möglichst viel Lebensraum zu bieten. Im Zuge der Arbeiten wurde auch ein Absturz direkt unterhalb der Brücke zu einer fischdurchgängigen Rampe umgebaut, was ebenfalls von der Fachberatung für gut befunden wurde. Und die erste Feuertaufe hat die Maßnahme auch bereits hinter sich: das erste kleinere Hochwasser ist bereits durchgerauscht und alles einmal ordentlich aufgemischt. Und genau das ist auch das Ziel der Renaturierung: der Wolfach im Rahmen definierter Grenzen wieder die Möglichkeit geben, sich möglichst eigendynamisch zu entwickeln, wobei Hochwässer aufgrund ihrer hohen Dynamik eine große Rolle spielen. Wie sagt ein Kollege am Wasserwirtschaftsamt immer so schön: „Wir geben nur die grobe Richtung vor, den Rest richt se des Gewässer dann scho selber, wia ses braucht.“ Oder wie die Fachberatung es ausdrücken würde: „Zen-Gärtnerei ist bei Gewässerrenaturierungen ned angebracht.“
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Der (braune) Teppich ist ausgelegt
Normalerweise rollt man ja den roten Teppich vor einer Eröffnung aus, wir beginnen aber erst hinterher damit: die Wolfach läuft nun vollständig in ihrem neuen Gewässerbett und im Rahmen der Restarbeiten werden die neuen Uferbereiche, auf dem der Humus noch recht locker sitzt, mittels Kokos- bzw. Jute-Matten gesichert. Auch wenn unsere Teppiche etwas rauer sind als die roten Pendants, so helfen die natürlichen Materialien nicht nur, das Abschwemmen von Boden ins Gewässer zu verhindern, sie schaffen auch ein besonderes Mikroklima, damit die Ansaat besser anwachsen kann und auch Kleinlebewesen finden in ihnen Lebensraum. Zudem sind sie biologisch abbaubar. Zu den Restarbeiten gehört auch die Vervollständigung der Ufersicherung, die, wo immer es geht, ingenieurbiologisch ausgeführt wird. Das alles schafft aber ein Bagger alleine, sodass der andere schon Mal mit den Arbeiten auf der anderen Seite der Brücke beginnen konnte. Das große Finale naht…
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